Wie Sie Betroffene in einer Notfallsituation beurteilen
3 Punkte, die Leben retten
Wir Rettungssanitäter sind keine Ärzte. Und doch sind wir Profis in der Versorgung von akut erkrankten oder verunfallten Personen. Während unserer dreijährigen Ausbildung haben wir viele verschiedene Krankheitsbilder und Unfallsituationen trainiert und so manche Studie gelesen, welches Krankheitsbild sich mit welchem Symptom mit welcher Wahrscheinlichkeit zeigt.
Natürlich möchte ich dieses Wissen im echten Einsatz anwenden: Herauszufinden, was der Patient hat, ihn richtig erstversorgen und mit der korrekten Verdachtsdiagnose in der Notfallstation übergeben, ist mein Ziel. Und Berufsstolz. Der Grund, warum wir Rettungssanitäter sind und gerne ausrücken. Es ist auch das, was uns motiviert, uns während der einsatzfreien Zeit weiterzubilden.
Das klappt aber nicht immer. Oft kann ich nicht genau sagen, was die Person hat, zu der wir gerufen werden. Entsprechend bin ich dann auch nicht ganz zufrieden mit mir. Das kratzt natürlich schon etwas. Woran? Bei mir am Ego. Dann gehe ich manchmal zwei Stunden später auf den Notfall oder rufe die entsprechende Notfallstation an, um zu fragen, was der Patient nun wirklich hatte. Und wissen Sie was? Auch da weiss man es manchmal noch nicht. Nach zwei Stunden, unter Mithilfe vieler diagnostischen Hilfsmitteln und so manchem sehr, sehr erfahrenen Arzt.
Warum erzähle ich Ihnen das? Sicher nicht, um zu sagen, wie schlecht unsere Medizin oder Notfallstationen sind. Im Gegenteil. Ich möchte über Erste Hilfe sprechen. Die Erste Hilfe, die Sie leisten. Lesen Sie doch den Text "Über uns", wenn Sie das noch nicht gemacht haben. Dort erzählen wir Ihnen etwas vom "Bystander's Window" und welchen immensen Einfluss Sie auf das Outcome von Patienten als Ersthelfende haben. Nur, wie wollen Sie in der kurzen Zeit, die Ihnen als Ersthelfende an einem Ereignisort zur Verfügung steht, genau herausfinden, was der Patient hat? Schliesslich schafft man das ja manchmal auch im Spital innerhalb von zwei Stunden nicht...
"Muss ich doch auch nicht", denken Sie jetzt vielleicht, "ich leiste einfach Erste Hilfe mit gesundem Menschenverstand". Da haben Sie Recht, Sie müssen es wirklich nicht wissen, was der Patient am Schluss hat. So wie auch wir Rettungssanitäter es nicht immer haargenau wissen müssen, um einen guten Einsatz zu leisten.
Doch warum bauen dann herkömmliche Erste Hilfe Kurse auf Krankheitsbildern auf? Warum lernt man dort oft so verschiedene Krankheitsbilder und was im Fall vom jeweiligen Krankheitsbild getan werden muss? Das macht irgendwie keinen Sinn, wenn es in der Realität oft schwierig ist, innert Minuten zu sagen, an was der Betroffene leidet. Oder? Wenn ich zwar weiss, was im Fall von Herzinfarkt, Lungenembolie, Aortendissektion und Hirnschlag zu tun ist, ich aber nicht weiss, an welcher Krankheit der Betroffene leidet, was soll ich dann tun? Dann ist plötzlich auch der gesündeste Menschenverstand krank.
Spulen wir ein paar Jahre zurück. Gerade hatte ich meine neue Tätigkeit im Rettungsdienst begonnen. Von meinen ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen hörte ich viel vom ABCDE-Schema, von strukturierter Vorgehensweise und Algorithmen (Flussdiagramme), die es konsequent abzuarbeiten gelte. "Ohje", dachte ich mir, "die denken doch einfach kompliziert". "Ein bisschen Fragen wo es wehtut, eine Infusion legen und etwas Schmerzmittel geben - so schwer ist das nun auch wieder nicht", dachte ich für mich. Erst als ich währender der Ausbildung zum Rettungssanitäter selber Stück für Stück Verantwortung in der Versorgung von Patienten übernahm, merkte ich, wir wichtig ein "mentales Backup" ist. Ich meine damit eine Grundstruktur, die ich innerlich jedes mal abarbeite. Denn plötzlich überkam im Einsatz auch mich Stress und das klare Denken schien schwieriger als vorher, als ich einfach zuschauen konnte. Nun war ich selber plötzlich sehr froh, konnte ich stur Punkte abarbeiten, die ich vorher x-mal verinnerlicht und geübt hatte. Schnell merkte ich, dass ich so Behandlungsentscheide konsequent und prioritätenorientiert fällen konnte. Diese Punkte nennt man "Patientenbeurteilung".
Die Patientenbeurteilung
Sie hat sich während den letzten Jahren einem starken Wandel unterzogen. Einem Wandel zu Gunsten der Einfacheit. Wurden Notfallpatienten noch vor nicht allzu langer Zeit mit GABI beurteilt, werden sie es heute mit dem weltweit anerkannten ABCDE-Schema. Dieses Schema ist nacht wie vor aktuell und Berufsleute in der Aktumedizin arbeiten tagtäglich entlang diesem Schema.
Doch, wie sicher fühlen Sie sich, wenn Sie ans ABCE-Schema denken? Was kontrollieren Sie bei welchem Buchstaben und welche Konsequenzen leiten Sie dann daraus ab?
Ich habe Ihnen ja eingangs dieses Berichts aus meinem Berufsalltag erzählt und dass ich nicht immer weiss, was der Patient hat. Dann bin ich eben sehr froh, dass ich "einfach" das ABCDE abarbeiten kann: Ich weiss dort bei jedem Buchstaben genau was ich untersuchen muss und welche Massnahmen bei welchem Befund zu treffen sind. So kann ich einen Patienten auch dann absolut korrekt erstversorgen, wenn ich seine zugrundeliegende Diagnose (noch) nicht kenne.
Wäre es nicht toll, wenn Sie das auch könnten? Wenn es wenige Punkte gäbe, noch einfacher als das ABCDE-Schema, die Sie im Notfall kontrollieren und abarbeiten könnten und damit immer das Überlebenswichtigste für den Betroffenen tun würden?
Die drei Kategorien
Ansprechbar (und somit regelmässige Atmung)
Betroffene der Kategorie des lachenden Smileys sind ansprechbar. Sie können zwar verwirrt sein, es ist aber möglich, mit ihnen in Kontakt zu treten und einen Dialog zu führen.
"Schön und gut", denken Sie jetzt vielleicht, "aber was bringt mir das im Ernstfall?".
Es bringt Ihnen nur dann etwas, wenn Sie auch noch wissen, was mit Patienten dieser Kategorie zu tun ist. Und das ist relativ einfach: Sie versorgen diese nach Bedarf. Wenn nötig stoppen Sie zum Beispiel eine Blutung, stabilisieren einen Knochenbruch oder lagern eine Person so, wie es ihr bequem ist.
Das lachende Smiley bedeutet nicht, dass es sich hier nicht auch um einen zeitkritischen Notfall handelt. Es ist auch nicht ein "einfacherer" Notfall als andere. Im Gegenteil: Hier haben Sie sehr viel Verantwortung! Sie müssen nämlich überhaupt erst feststellen, dass es sich möglicherweise um einen Notfall handelt (wenn Ihnen zum Beispiel auffällt, dass Ihr Kollege während eines Meetings etwas angestrengt atmet) und daraufhin die weiteren Entscheidungen treffen.
Im Zweifelsfall fragen Sie hier Profis um Rat: Entweder bei der Sannitätsnotrufzentrale 144, oder Sie rufen in ein Spital oder den Hausarzt an.
Nicht ansprechbar, regelmässige Atmung
Betroffene dieser Kategorie können einfach reglos daliegen, oder aber Laute, möglicherweise sogar einzelne Worte von sich geben und die Augen offen haben. Es besteht aber keine Möglichkeit, einen Dialog mit dieser Person aufzubauen. Die Atmung ist jedoch vorhanden und regelmässig.
Betroffene dieser Kategorie werden in jedem Fall in die stabile Seitenlagerung gebracht.
Nicht ansprechbar, unregelmässige oder keine Atmung
Betroffene dieser Kategorie sind weder ansprechbar, noch ist eine regelmässige Atmung vorhanden. Aus diesem Grund sind unverzüglich Reanimationsmassnahmen einzuleiten.
Können Sie sich vorstellen, warum eine "unregelmässige Atmung" in der gleichen Kategorie wie "keine Atmung" ist? Eine unregelmässige Atmung, eine sogenannte Schnappatmung, tritt bei 40% aller Betroffenen eines Kreislaufstillstandes in den ersten Minuten nach dem Kollaps auf. Es ist sehr wichtig, dass man diese Schnappatmung als solche korrekt erkennt und nicht fälschlicherweise als normale Atmung abtut und die Person in die zweite Kategorie triagiert. Aus diesem Grund sehen Sie im nachfolgenden Video, wie sich eine Schnappatmung präsentieren kann.
Sollten Sie unsicher sein, um welche Kategorie es sich handelt, dann nehmen Sie immer die schlechtere der beiden, zwischen denen Sie hin und hergerissen sind. Denn: Wenn Sie unsicher sind, ob es das lachende Smiley oder das mit dem geraden Mund ist, dann entscheiden Sie sich für das mit dem geraden Mund und bringen die Person in die stabile Seitenlagerung. Wenn die Person dann den Kopf hebt und mit Ihnen zu sprechen beginnt, ist das nur positiv. Lassen Sie sie aber in Rückenlage liegen, obwohl sie in der Kategorie des Smileys mit dem geraden Mund ist, droht das Ersticken des Patienten an Erbrochenem, Blut, oder der eigenen Zunge.
Wenn Sie unsicher sind, ob es sich nun um eine normale Atmung oder um eine Schnappatmung handelt (Smiley mit geradem Mund oder Smiley mit hängenden Mundwinkeln), dann entschieden Sie sich für die Kategorie mit den hängenden Mundwinkeln und beginnen umgehend Sie mit Reanimationsmassnahmen. Denn wenn die Person keine Reanimation benötigt, werden Sie das sofort bemerken, wenn Sie den Brustkorb der betroffenen Person 5-6cm in einer Frequenz von 100-120mal pro Minute komprimieren: Sie wird stöhnen, sich leicht bewegen oder gar die Augen aufmachen. Vielleicht brechen dabei Rippen, das kann sein. Die heilen aber wieder. Wäre die Person tatsächlich in der Kategorie des Smileys mit den hängenden Mundwinkeln gewesen und Sie triagieren diese in das Smiley des geraden Munden (bringen die Person also fälschlicherweise in die stabile Seitenlagerung), dann beginnen nach drei Minuten die unwiderruflichen Schädigungen des Hirns und die Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt pro weitere Minute bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes um 10-12%.
Das mentale Backup für jegliche Notfälle
Eingangs dieses Blogbeitrages haben wir darüber gesprochen, dass in herkömmlichen Erste Hilfe Kursen viel über Krankheitsbilder gesprochen wird und dass die Realität im Rettungsdienst zeigt, dass dieses Wissen für Sie im Ernstfall sehr schwierig abzurufen ist (weil dann zuerst festgestellt werden müsste, um welches Krankheitsbild es sich handelt und dass genau das selbst für Ärzte im Spital manchmal recht viel Zeit beansprucht).
Es kann aber nicht sein, dass Sie vor lauter Unsicherheit nichts tun!
Nun haben wir Ihnen drei Smiley mit auf den Weg gegeben. Drei Smileys, die für drei Patientenzustände in der Patientenbeurteilung stehen:
- Ansprechbare Patienten - diese werden immer nach Bedarf behandelt. Kontaktieren Sie im Zweifelsfall Fachpersonen und besprechen Sie mit diesen das weitere Vorgehen.
- Nicht ansprechbare Patienten, die aber regelmässig atmen. Bringen Sie diese in jedem Fall in die stabile Seitenlagerung.
- Nicht ansprechbare Patienten, die unregelmässig oder gar nicht mehr atmen. Diese müssen Sie umgehend reanimieren.
Triagieren Sie im Zweifelsfall immer eine Kategorie "tiefer".
Egal ob Velosturz, Herzinfarkt, Holzerunfall, Hirnschlag, Sturz vom Gerüst, Allergische Reaktion oder ein Treppensturz im Verwaltungsgebäude: Die Betroffenen werden immer entweder ansprechbar (lachendes Smiley), bewusstlos (Smiley mit geradem Mund oder leblos (Smiley mit hängenden Mundwinkeln) sein. Eine andere Kategorie gibt es nicht. Wenn Sie also diese drei Kategorien kennen und beherrschen, werden Sie in jeder medizinischen Notfallsituation richtig handeln!
Training
Sie sehen, Erste Hilfe ist ganz einfach. Nun können Sie im Ernstfall, wenn der Stress in Ihnen aufsteigt und Sie sich richtig überfordert fühlen, das gleiche machen wie wir Profis: Auf das "mentale Backup" umstellen und nur noch ganz wenige Punkte prüfen und daraus eine Entscheidung ableiten: Die drei Kategorien. Damit machen Sie immer das Richtige!
Wenn Sie das in Ihrer Firma, Insitution oder Schule trainieren möchten, dann sind wir die richtige Adresse für Sie: Wir sind alles Profis aus der Akutmedizin und eleben so tagtäglich medizinisch kritische Situationen. Wir sind schweizweit und in allen Landessprachen unterwegs, um mit Ihnen medizinische Notfallsituation, die für Ihren Alltag relevant sind, zu trainieren. In Fallsimulationen üben wir Ihre betriebsinternen Abläufe, die Patientenbeurteilung und die korrekten Massnahmen 1:1 und bauen auch den Stress auf (der in der echten Situation nicht auf sich warten lässt). Nach einem praxis- und realitätsnahen Erste Hilfe Training mit uns werden Sie sich gerüstet fühlen, Notfallsituationen zu erkennen und die Zeit bis zum Eintreffen des Profis mit den überlebenswichtigsten Massnahmen zu überbrücken - versprochen!
Übrigens: Das Arbeitsgesetz verlangt von Arbeitgebern, dass solche Trainigs regelmässig mit den Arbeitnehmenden durchgeführt werden (ArGV. 3, Art. 36). Unser ärztlich geprüftes Kurskonzept ist das kürzeste, dass die Anforderungen des Gesetzgebers vollumfänglich erfüllt.
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